Sieben Fragen an Jörn Budesheim

1. Wie und warum bist Du Künstler geworden?

Ich weiß es nicht.

Eine Kollegin von mir hatte ein richtiges Erweckungserlebnis. Bei einer Beuys-Ausstellung wurde ihr klar, dass sie so etwas auch machen will. Mit so etwas kann ich leider nicht aufwarten. Im Grunde zeichne ich, seit ich denken kann. Wann und wie das anfing, kann ich nicht wirklich sagen. Seit wann ich das Gefühl habe, Künstler zu sein, weiß ich ebenso wenig. "Irgendwie" seit immer. 
1984, während des Kunststudiums in der "Fettverwertung", Nordstadt
2. Gibt es ein Kunstwerk, eine Ausstellung, einen Künstler oder eine Künstlerin, die für Dich von besonderer Bedeutung ist?

Eigentlich nicht.

Meine erste starke ästhetische Erfahrung war das Küchenfenster meiner Oma, wenn ich dadurch die bunten Felder betrachtet habe. Das war im Grunde eine durch und durch museale Situation: Vom Fenster gerahmt und hinter Glas auf Distanz. Später bin ich durch das Saarland Museum – ich habe lange in Saarbrücken gelebt – ästhetisch sozialisiert worden. Dort fing (in meiner Erinnerung) die Kunst so ungefähr mit dem Impressionismus an, ansonsten gab es den üblichen Kanon bis in die Gegenwart, gemischt mit Künstlern der Region. Das war keine schlechte Schule.

Saarbrücken ist klein und alles konzentriert sich dort. Es gab damals eine lebendige Kunstszene, aber noch keine Akademie. Es war kein Problem, Teil dieses Zirkels zu werden, obwohl ich noch sehr jung war. Mit 18 hab ich in einem kleinen Theater Bühnenbilder gemalt und auch eigene Arbeiten ausgestellt. Und mit 22 gehörte ich „offiziell“ zur “Kunstsituation Saar” und wurde mit den lokalen Größen zusammen im Glaskasten Marl ausgestellt.

Dann bin ich zum Studieren nach Kassel gegangen. Die Kunstakademie war für mich völlig neu, völlig anders. Alles wurde (noch) viel wilder und freier - und abstrakter. Wir haben uns immer als Malschweine verstanden.
"Liebe dein Symptom"  frei nach Slavoj Žižek
3. Denkst Du viel über Kunst nach? Was bedeutet das für Deine Arbeit

Ja, ich denke andauern über Kunst nach.

Nach fast einem halben Jahrhundert als Zeichner und Maler frage ich mich immer noch, was Kunst eigentlich ist. Ich lese auch einschlägige Bücher dazu. "Kunst als Philosophie" zum Beispiel von Robert B. Pippin. Oder aktuell ein kleines Buch über das Staunen von Nicola Gess. Beide Bücher sind sehr gut, keine Frage. Doch oft sind mir solche Theorien zu groß. Nicht jedes Bild kann schließlich ein Frühstück im Freien sein. "Deswegen" soll eine meiner nächsten Ausstellungen "Bagatellen" heißen.

Auf irgendeine Weise fließt das Nachdenken natürlich in meine Arbeit ein – wie genau, weiß ich nicht. Und die Arbeit fließt natürlich umgekehrt in das Nachdenken ein.

Manchmal bekommt man die eigenen (und fremden) Antworten jedoch auch ins falsche Ohr.
Das falsche Ohr
4. Hat Kunst einen Auftrag, einen Zweck, ein Ziel? Zum Beispiel gesellschaftlicher oder politischer Art?

Nein.

Oder paradox formuliert: Ihr Zweck ist, keinen Zweck zu haben. Ich meine nach wie vor, dass die Autonomie der Kunst ihre wichtigste Bestimmung ist. Sie stellt einen Wert in sich selbst dar. Letztens hab ich bei Facebook ein Foto eines schönen Graffitis gesehen: "Wir brauchen mehr Poesie." Daran kann eigentlich kein Zweifel bestehen.
Warten auf die postpoetische Kunst
5. Gibt es gute Kunst oder ist das alles bloß „subjektiv“?

Kunst ist objektiv.

Gewisse Formen von „Subjektivismus“ sind für mich ein Gräuel, eine Art Nihilismus. Mein philosophisch-ästhetisches „Programm“ ist gewissermaßen, die Welt des Geistes und der Kunst als eigenes Reich zu bewahren. Das ist sehr wichtig.

Vor kurzem las ich bei Marcel Duchamp: „… ein Werk (wird) vollständig von denjenigen gemacht, die es betrachten oder es lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen.“ Diese Art der Rezeptions-Ästhetik finde ich schrecklich. Ein Kunstwerk kann es natürlich ohne Betrachter nicht ohne weiteres geben. Aber entscheidend ist das Werk selbst. Der Betrachter hat dabei viele Freiheiten, das ist wichtig und richtig. Aber er macht das Werk nicht. Das wäre im Übrigen auch witzlos. Worüber sollte man da staunen?

Zur Frage: Gibt es gute Kunst? Ja, es gibt sie. Der Betrachter kann sich eben auch irren. Man kann eine Arbeit für gut halten, obwohl sie schlecht ist und umgekehrt. Das kann mir mit meiner eigenen Arbeit natürlich auch blühen.
Ja und Nein
6. „Ich kenne kein Weekend“ heißt es bei Joseph Beuys. Hast Du manchmal „kunstfrei“?

Selten.

Da ich einem Brotberuf nachgehe, ist es bei mir gewissermaßen umgekehrt. Zeit, um kontinuierlich zu arbeiten, finde ich in der Regel nur am „Weekend.“ Das heißt aber nicht, dass man an Werktagen kunstfrei hat. Irgendwie ist man in Gedanken oder der Fantasie immer dabei. Das kennt eigentlich kein Ende. Und das ist auch gut so.
Mein erstes Tafelbild
7. Was wärst Du geworden, wenn Du kein Künstler geworden wärst?

Unglücklich.

Aber etwas ernsthafter: Ich frage mich manchmal, in welcher anderen "Kunstsparte" ich gerne arbeiten würde, wenn ich das Talent dazu hätte und wenn ich nicht bildender Künstler wäre. Es gibt unglaublich viele gute und aufregende Kunst: Tanztheater zum Beispiel. Wir gehen oft dahin, das ist atemberaubend! Ich schreibe manchmal Gedichte, aber ich bin natürlich kein Dichter. Doch wenn ich das Talent dazu hätte, wäre ich gerne einer geworden.

Musikmachen zu können, muss erhebend sein. Wir haben mal vor langer Zeit im Radio Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 d-Moll für Violine solo gehört. Am nächsten Tag haben wir uns die CD besorgt. Es muss unglaublich sein, wenn man so was spielen kann.

Wenn jedoch Kunst in diesem weiten Sinn aus der Frage ausgeschlossen wäre, dann wäre ich bestimmt Philosoph geworden. Wenn auch das nicht geht, dann Koch.
10 DM