Sieben Fragen an Sabine Stange

1. Wie und warum bist Du Künstlerin geworden?

Ich komme aus einem Handwerker-Haus. Mein Vater und mein Großvater waren Weißbinder, mein Großvater restaurierte Kirchenräume, mein Vater arbeitete mit an der Restaurierung denkmalgeschützter Gebäude. In der Malerwerkstatt liebte ich es, durch die Räume zu streifen, Säcke mit Farbpigmenten zu öffnen, die Farben anzuschauen. An einer Wand in dieser Werkstatt wurden Pinsel ausgestrichen, sodass sich im Lauf der Jahre dicke Farbschichten übereinander legten. Malen und zeichnen gehörten zu meinem Alltag. Immer wieder beschäftigte ich mich auch mit Materialien, die ich in meiner Umgebung fand, beobachtete, wie sie sich veränderten durch welche Einflüsse und wie sich daraus Bilder ergaben.
Was geblieben ist aus dieser frühen Zeit?

Geblieben ist die Faszination der Farben, die Faszination dessen, was sich scheinbar zufällig durch Schichtungen übereinanderlegt, sich zu immer wieder neuen Bildern formt, zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich eine AGFA-Box mit Rollfilmen geschenkt. Seitdem gehört auch das Fotografieren zu meinem Alltag. 
Wasser, Sabine Stange
2. Gibt es ein Kunstwerk, eine Ausstellung, einen Künstler oder eine Künstlerin, die für Dich von besonderer Bedeutung ist?

Es gibt nicht den einen Künstler oder die eine Künstlerin, die für mich von besonderer Bedeutung sind. Das wechselt. Zurzeit beeindrucken mich die Arbeiten von Karla Black aus Schottland und von Theo Jansen aus den Niederlanden. Karla Black arbeitet sehr stark mit dem Zufall, in ihren Installationen hinterlässt sie Spuren im Raum; oder sie vermischt Farbpigmente mit Vaseline, fixiert sie zwischen Glasscheiben und positioniert sie im Raum. 
Theo Jansen verbindet in seinen Arbeiten Kunst, evolutionäre Bionik und Ingenieurwissenschaften. Er baut STRANDBEESTS, die sich, angetrieben durch den Wind oder durch die Mechanik, die ihrer Bauweise inhärent ist, bewegen. Beide Künstler haben für mich Gemeinsamkeiten: Sie arbeiten mit dem Zufall. Sie beobachten ihre Umgebung genau und gehen ästhetischen Fragestellungen nach, die sich aus diesen Beobachtungen ergeben.
3. Denkst Du viel über Kunst nach? Was bedeutet das für Deine Arbeit

Wenn ich gerade an einem Projekt arbeite, gehen mir die einzelnen Aspekte dieses Projektes ständig durch den Kopf und durch den Körper, nicht nur beim Arbeiten im Atelier, sondern sozusagen Tag und Nacht. Gibt es Durststrecken, Engpässe in der Entwicklung, bin ich unruhig, nerve meine Mitmenschen, läuft es gut, fühle ich mich high, belohne mich in solchen Momenten gern, z.B. mit einem Eis aus der Eisdiele. 
4. Hat Kunst einen Auftrag, einen Zweck, ein Ziel? Zum Beispiel gesellschaftlicher oder politischer Art?

Diese Frage öffnet eine Tür zu einem weiten Feld. Ich möchte beschreiben, worum es mir geht mit meiner Art Kunst zu machen: Die, die sich mit meinen Arbeiten beschäftigen, möchte ich dazu verführen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, sich mit dem Wahrnehmen, dem Sehen zu beschäftigen, eine Neugierde daran zu entwickeln, wie die eigene Wahrnehmung funktioniert und welche Möglichkeiten des Lebens sich daraus ergeben.
5. Gibt es gute Kunst oder ist das alles bloß "subjektiv"?

Ich finde den Ausdruck „gute Kunst“ nicht passend, eher geht es, glaube ich, darum, ein Kunstwerk und seine Präsentation so zu entwickeln, dass sich das Gefühl einstellt: „Das ist stimmig.“ Sicherlich hat das viel damit zu tun, was wir in unserem Kulturkreis als „stimmig“ erlernt haben, aber auch damit, was ich als Künstlerin darüber hinaus entwickeln kann.
6. "Ich kenne kein Weekend" heißt es bei Joseph Beuys. Hast Du manchmal "kunstfrei"?

Wenn ich mir kunstfrei nehme, habe ich kunstfrei, meistens, wenn meine Enkelinnen zu Besuch kommen oder ich sie besuchen fahre.
7. Was wärst Du geworden, wenn Du keine Künstlerin geworden wärst?

Ich bin vieles geworden, um Künstlerin sein zu können, sprich: Meinen Lebensunterhalt abzusichern und in meiner Kunst keine Kompromisse machen zu müssen - Lehrerin, Therapeutin, Leiterin eines Ateliers für Menschen mit und ohne Psychiatrie-Erfahrung, Kulturpädagogin, Kulturmanagerin. Im Laufe meines beruflichen Lebens habe ich viele Langzeit-Projekte erfunden, angeleitet, durchgehalten ... 
In den meisten begegnete ich vielen unterschiedlichen Menschen. Ich hatte das Glück, immer wieder in Projekten zu arbeiten, die mich sehr interessiert, beschäftigt und ausgefüllt haben. In gewisser Weise waren und sind diese Projekte der Gegenpol zu meiner in der Zurückgezogenheit stattfindenden Arbeit an der Kunst.